Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Anne Will“ kämpft gegen „Demokratieverdrossenheit“
Sonntäglicher Anschauungsunterricht in demokratischer Kultur
„Es ist was faul im Staate Deutschland, und zwar ganz gehörig“, beginnt Anne Will, „wenn immer mehr Menschen in Deutschland Angst vor der Zukunft haben“. Besonders die „Preisentwicklung“ ist es, die „85% der deutschen Bürger Angst macht“, wie eine von der ARD in Auftrag gegebene Umfrage ermittelt hat. Kein Wunder, sollte man meinen, dass sich eine Bevölkerungsmehrheit Sorgen macht, wie sie künftig zurechtkommen soll, wenn die Kosten explodieren, allenthalben die Einkommen sinken und viele gleich gar keine Aussicht auf ein geregeltes Einkommen mehr haben.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
„Anne Will“ kämpft gegen „Demokratieverdrossenheit“ Sonntäglicher Anschauungsunterricht in demokratischer Kultur
Es ist was faul im Staate Deutschland, und zwar ganz
gehörig
, beginnt Anne Will eine ihrer sonntäglichen
Talkshows, wenn immer mehr Menschen in Deutschland
Angst vor der Zukunft haben
. Besonders die
Preisentwicklung
ist es, die 85 % der deutschen
Bürger Angst macht
, wie eine von der ARD in Auftrag
gegebene Umfrage ermittelt hat.
Kein Wunder, sollte man meinen, dass sich eine
Bevölkerungsmehrheit Sorgen macht, wie sie künftig
zurechtkommen soll, wenn die Kosten explodieren,
allenthalben die Einkommen sinken und viele gleich gar
keine Aussicht auf ein geregeltes Einkommen mehr haben.
Um die Frage, wie es um die Zukunft der Massen und die
Berechtigung ihrer diesbezüglichen Ängste steht, kümmert
sich die abendliche Diskussionsrundefreilich nicht
weiter. Die Angst selber, die die Mehrheit umtreibt, so
Anne Will, ist das eigentliche Problem. Bei ihr handelt
es sich nämlich recht besehen gar nicht um Angst in dem
Sinne, sondern um eine falsche Einstellung der
Bevölkerung gegenüber ihrem Gemeinwesen und dessen
Vorstehern: Jeder dritte Westdeutsche und jeder zweite
Ostdeutsche traut der Demokratie nicht zu, Probleme zu
lösen
, wie eine spannende Analyse
(Will) des Friedrich-Ebert-Instituts
herausgefunden hat. Warum die Bürger angesichts von Hartz
IV, Niedriglohn und verbreiteten Geldnöten den Verwaltern
dieser Zustände ausgerechnet zugute halten sollen, es
ginge ihnen um die Lösung von irgendwelchen Problemen,
die sich ihnen gemeinsam mit den regierten Bürgern
stellen, ist zwar unerfindlich, aber felsenfester
Ausgangspunkt des Abends. Und da, so die Eröffnung der
Moderatorin, sieht es schlecht aus. Bürger sondern
Sprüche ab wie: Das System funktioniert nicht.
Demokratie ist Scheiße
. Damit ist die abendliche
Talkrunde bei ihrem Thema: Wer so denkt, und das tun
viele, leistet sich Distanz zur Politik, ist
demokratieverdrossen. Das geht keinesfalls in
Ordnung und stellt die Politik vor eine echte
Herausforderung: Demokratie, nein danke – Bürger
frustriert, Politiker hilflos
– so der Titel der
Sendung. Die materiellen Sorgen werden noch einmal kurz
in Erinnerung gebracht als schlechte Bedingung für ein
entschiedenes ‚Demokratie, ja bitte‘: Leute, denen es
schlecht geht, sind weniger bereit, für das System
einzutreten
. Sollten sie aber selbstverständlich.
Daran, dass es vielen schlecht geht, kann es auch gar
nicht liegen, wenn es an ‚Eintreten‘ für ‚das System‘
fehlt. Das sieht man schon daran, dass im Osten die
Verdrossenheit in allen Schichten unabhängig vom
Geldbeutel
verbreitet ist. Also alles klar, bevor die
Diskussionsrunde überhaupt angefangen hat: Den Bürgern
fehlt es an Vertrauen in ihren politischen Laden und
seine Macher.
Die Runde – wie üblich zusammengesetzt aus Repräsentanten der etablierten Parteien, diesmal aus gutem Grund erweitert um eine Kulturschaffende aus dem Osten, die der DDR vorzeitig den Rücken gekehrt hat, sowie eine Vertreterin der Linkspartei – macht sich also daran, die Gründe für den konstatierten Missstand zu analysieren und Handreichungen zu seiner Behebung zu bieten. Von ‚Hilflosigkeit‘ der Politiker, soviel vorweg, kann keine Rede sein.
*
Die Diskutanten – außer der Frau von der ‚Linken‘ – sind sich mit Anne Will einig, dass es an den Regierenden nicht liegen kann, wenn die Massen so eine grundschlechte Meinung von deren Taten haben. Es fehlt vielmehr an der Einsicht der Bürger, dass regierungsamtliche Beschlüsse sachnotwendig und die Macher der Demokratie nur zu unser aller Bestem unterwegs sind. Und warum der Bürger, insbesondere der im Osten, nicht versteht, was demokratische Politiker für ihn leisten, dafür bieten die Diskutanten – 6 zu 1 gegen die Linksvertreterin – dann ein paar Erklärungen.
Das liegt erstens an der Linkspartei:
Die schürt Ängste
, statt, wie es sich gehört,
gegen Bürgerunmut anzugehen. Nicht die
Regierungspolitik, sondern die von der
Linkspartei vorgebrachten Einwände sind dafür
verantwortlich, dass die Leute massenhaft
frustriert
sind. Statt für Einsicht in die
sozialen Einschnitte zu sorgen, setzt diese Partei, wenn
sie an denen herumkritisiert, unerfüllbare Erwartungen
in die Welt, die nicht aufgehen können
, wo doch
feststeht, dass die Hartz IV- und anderen Beschlüsse die
einzig machbare Politik sind. Die Linke verführt
also demagogisch
Bürger zur Unzufriedenheit, und
sie macht das, weil sie davon profitiert
, während
anständige demokratische Parteien bekanntlich nur als
selbstlose Sachwalter des politisch Gebotenen unterwegs
sind. Das kann man gar nicht oft genug wiederholen und
der extra dafür eingeladenen Linksvertreterin ins Gesicht
sagen, damit die Sache auch sitzt.
Die so angegangene Vertreterin der ‚Linken‘ gibt sich
alle Mühe, die Vorwürfe zu dementieren und gegen ihre
demokratischen Gegner zu wenden. Ein schlichtes ‚Na und!‘
kommt nicht in Frage; sie teilt nämlich die Auffassung,
dass es um das Ansehen der Politik beim deutschen Volk
schlecht bestellt ist, und hält das ebenfalls für einen
untragbaren Zustand. Deswegen will sie das aber auch
nicht einfach auf den Ostbürgern sitzen lassen:
Demokratieverdrossenheit ist kein reines
Ostproblem
; im übrigen haben die Ostler mit ihrem
Unmut recht: Unsere ostdeutschen Bürger werden wieder
nicht ernst genommen
; am verbreiteten politischen
Absentismus sind die Regierenden selber schuld,
weil sie nicht leisten, was nach Auffassung der
Vertreterin der ‚Linken‘, da ist sie sich mit Anne Will
einig, Politik zu leisten hat: Diese Art Demokratie
löst die Probleme nicht!
Statt dessen machen die
Regierenden Versprechungen, die sie selber gar nicht
erfüllen: Die Informationen gehen hier so, dass den
Leuten gesagt wird, dass die Arbeitslosigkeit sänke, und
dabei gibt’s dann nur lauter prekäre Beschäftigungen
.
Jedenfalls macht sich die Frau ihrerseits darüber
Gedanken, wie das von der Regierung verspielte Vertrauen
der Bürger in die Demokratie zurückgewonnen werden kann.
Zum Beispiel, so ihr Vorschlag, durch mehr Angebote
für Bürgerbeteiligung
. Sie verspricht, mit ihrer
Partei durch mehr soziale Rücksichten und mit dem
Angebot, die Betroffenen dürften irgendwie mitmachen,
wenn über sie befunden wird, dafür zu sorgen, dass das
Volk wieder daran glauben kann, dass zu seinem Besten
regiert wird. Von Aufstacheln zur Unzufriedenheit also
nichts zu sehen. Aber die konstruktiven Beiträge der
Linksvertreterin, wie das Verhältnis der Bevölkerung zu
ihren Oberen zu verbessern sei, helfen ihr nichts. Die
anderen Parteien lassen sich nicht beschuldigen, für die
‚Verdrossenheit‘ verantwortlich zu sein.
*
Der Rest der Diskutanten ist sich sicher, dass es an den
Bürgern selber liegt. Bei denen stimmt etwas
nicht, wenn sie sich, insbesondere im Osten, massenhaft
von den Miesmachern um Gysi und Lafontaine ‚verführen‘
lassen. Die unzufriedenen Ostler wissen zum einen einfach
nicht ordentlich bescheid, mit welch’ schwerem
Geburtsfehler sie in die Freiheit übernommen wurden –
eine einzige Last waren sie und sind sie noch: Das
Erbe der DDR muss mal aufgearbeitet werden, die war total
Pleite. Es fehlt an Informationen, wie wir den Laden
übernommen haben.
(Schönbohm) Der CDU-Experte für die
Zurückweisung von Beschwerden aus dem Osten Deutschlands
gibt auch gleich die dazu passende Selbstkritik
der Politik zu Protokoll: Die Politik muss mehr
erklären, was sie leistet. Wir müssen unsere Leistungen
besser verkaufen.
Die Politik macht also
alles richtig, sie leistet
, sie hat nur
den undankbaren Kröten nicht nachhaltig genug
klargemacht, was sich Deutschland mit ihnen und ihrem
Laden aufgebürdet hat. Ostler haben gefälligst nicht
enttäuscht zu sein über die nicht erfüllten Erwartungen,
die von den Anschlusspolitikern nach Kräften genährt
worden sind, sondern zu begreifen, dass sie froh sein
müssen, dabei zu sein. Für die Leistungen der Demokratie
wirbt man offenbar am besten mit dem gehässigen Verweis
auf die – längst zum Gemeinplatz gewordene –
Schlechtigkeit der verflossenen Verhältnisse: Lauter
Altlasten, die Deutschlands Politikern das Leben
schwer machen.
Zu diesen Altlasten gehören nicht zuletzt die
unzufriedenen Bürger Marke Ost, die nicht
einsehen wollen, welcher Dienst ihnen mit dem Anschluss
erwiesen worden ist. Wer sich beschwert über die
katastrophalen Folgen seiner Eingemeindung in
Kapitalismus und Demokratie Marke BRD, in dem steckt
nämlich noch das alte verrottete System; dem fehlt die
nötige demokratische Reife: Plötzlich war die
Mauer weg. Freiheit! Verantwortung für sich zu
übernehmen, haben die einfach nicht gelernt.
(Rösler, FDP) Die Mauer hat
also nicht nur den unstillbaren Freiheitsdrang eines
guten Volks unterdrückt; sie macht auch dieses blöde Volk
noch fast zwanzig Jahre nach ihrem Fall unfähig,
die Gleichung von Freiheit und Verantwortung zu
begreifen: Dass man noch ‚immer alles vom Staat‘
erwartet, gilt bekanntlich als Akt freiwilliger
Entmündigung; dass man sich vielmehr gefälligst selber in
den jeweiligen Konkurrenzgegebenheiten zu bewähren und
mit dem abzufinden hat, was der Sozialstaat an Lasten und
Anrechten organisiert, auch wenn man da auf keinen grünen
Zweig kommt, das ist freiheitliche Verantwortung für sich
selbst. Das muss man – da kann auch der FDP-Mann seiner
eigenen Zunft entsprechende Vorwürfe nicht ersparen – den
Leuten mit der Mauer im Kopf mal ganz bürgernah von oben
klarmachen: Mein ehemaliger Chefarzt hat mir mal
gesagt, wenn Sie Latein vor den Patienten reden, dann hat
der Patient hinterher Angst und weiß zweitens, dass der
Arzt keine Ahnung hat. Es gibt Lehrgänge für Politiker,
wie man das Wort ‚Subsidiarität‘ richtig ausspricht.
Politikern, die nicht mehr mit den Menschen sprechen,
würde ich auch nichts glauben
. Auf gut deutsch gesagt
geht es also darum, dass sich die Menschen gefälligst aus
der alten „DDR-Staatsgläubigkeit“ befreien und
anerkennen, dass der Zusammenschluss von
privaten Nöten und demokratischem „System“ von falschem
‚Anspruchsdenken‘ zeugt – eine Botschaft für alle
Deutschen.
Monika Maron, die Frau von der Kulturfront, rundet das
Kapitel Mentalitätsdefizite Ost ab: Ehemalige
DDR-Bürger müssen eingeübt werden in Demokratie, Bildung,
Lesen. Der demokratiefähige Bürger muss sich informieren
darüber, wer da versagt, Merkel oder ein Bürgermeister
vor Ort. Das konnte man in der DDR nicht lernen, da wurde
man zur Wahl abgeholt. Kein Wunder, dass jetzt Meckern
als Ersatz für demokratische Betätigung an der
Tagesordnung ist.
Ein bisschen lächerlich ist es ja
schon, was da über die vormaligen Zonis aus dem Munde
einer Intellektuellen verlautet, die sich offenkundig
ausgiebig mit Demokratie, Bildung und Lesen befasst hat:
Der Ostler – ein politischer Analphabet, immer noch
geistiger Zögling eines Entmündigungs-Systems; er kann
keine politische Zuständigkeit unterscheiden, weil er nur
Honecker & Co. statt Merkel und Beck kannte; er hatte
keine Personalalternativen zu wählen wie hier, also hat
man ihn zur Urne geschleift; und er hat das alles auch
noch mit sich machen lassen; also manipuliert und deshalb
immer noch manipulierbar durch die politischen Erben der
SED von der ‚Linken‘, kurz: einfach
demokratieuntauglich. Was Frau Maron den nach
fast zwanzig Jahren lebendigem Demokratieunterricht immer
noch demokratisch verbildeten Ostler erst noch beibringen
zu müssen meint, ist das Grunddogma falscher Kritik: Dass
der Bürger mit seinen geschädigten Interessen nie die
Politik als solche haftbar machen darf, sondern
bei allem, was ihn stört, gefälligst
unterscheiden soll zwischen politisch
Verantwortlichen, die versagen, und anderen, die ihre
Sache besser machen! Die Unsitte, Einwände gegen die
Politik immer nur in Gestalt von Geschmacksurteilen über
eine mehr oder weniger gelungene Amtsführung der
Zuständigen vorzutragen und mit der Beschwerde über die
einen seine Erwartungen in die anderen Führungsfiguren
kundzutun, das ist wahre demokratische Bildung. Diese
unverwüstliche Grundeinstellung demokratischer Untertanen
haben beschwerdeführende Ost- und andere unzufriedene
Bürger einfach nicht gelernt; die muss erst noch
eingeübt
werden.
An Beispielen für eine entsprechende Erziehungsarbeit
lässt es die Sonntagsrunde nicht fehlen. Die Frau von der
SPD etwa vermeldet, wie wir jüngst in NRW in einem
ganz fantastischen Jugendlandtag Demokratie erlebbar
gemacht haben. Wir haben da ganz fantastische Anträge von
jungen Menschen bekommen, die wir dann in den politischen
Alltag übernommen haben
. Sie erspart dem Zuschauer,
was da Fantastisches SPD-Alltag geworden ist. Es hätte
die Botschaft bloß gestört, die mit der
methodisch-kindischen Veranstaltung ‚Engagierte
Jungbürger beraten aufgeschlossene Altpolitiker‘ vom
potenziellen SPD-Nachwuchs vorgelebt wird: Demokratie ist
ein Wert an sich, den man gar nicht früh genug
einüben kann; wer sich als demokratisch Regierter
ideell auf den Standpunkt der
Verantwortung fürs große Ganze stellt, sich die
Sorgen der Regierenden zu eigen macht und ihnen mit
passenden Anträgen an ihre verantwortungsvolle Tätigkeit
zur Hand geht, wer sich so aufführt, als hätte er bei
deren Entscheidungen etwas zu bestellen, oder sich schon
ganz wie die Basis seiner Parteioberen und Anwärter auf
eine politische Karriere gebärdet, der und nur der
‚gestaltet‘ mit. Der weiß dann auch, was politisch
aufgeht
und was nicht. Daran sollen sich
unzufriedene Bürger ein Beispiel nehmen. Wer aber dazu
nicht bereit ist, hat auch kein Recht sich zu beschweren.
Der Studiogast, Frau Marlies Schünemann aus Halvensleben,
bringt in diesem Sinne geradezu lehrbuchartig
(A. Will) zur Anschauung, wie
der Bürger seine Demokratieverdrossenheit
überwinden kann. Erstens, das kennen wir ja schon, soll
man sich von falschen Einflüsterungen fernhalten – Ich
bin gegen die ‚Linke‘, weil die Erwartungen in die Welt
setzen, die nicht aufgehen können.
Wenn man dagegen
nur das erwartet, was sich die Macher der Politik
vornehmen und machen, dann wird man voll zufrieden
gestellt: Bei uns sind Erwartungen erfüllt worden mit
Innenstadtrenovierung, Museen und einem
Wirtschaftszentrum.
Eine solche Einstellung zeugt von
Mut zur Demokratie
- also vom Gegenteil besagter
Angst
, die dem fehlenden unverdrossenen Vertrauen
in die Leistungen seiner Herrschaften geschuldet ist. Die
Frau tut auch etwas für diese ‚mutige‘ Einstellung und
macht den Jugendlichen in ihrer Gegend ständig klar,
wo Chancen liegen
, wo sie mitgestalten
können
, etwas bewegen können
. Der Höhepunkt
ist – der SPD-Nachwuchslandtag lässt grüßen – eine
Junior-Wahl
, in der die Jugendlichen einmal ganz
echt so tun können, als würden sie wählen.
Damit ist die Runde bei dem Engagement angelangt, an das alle denken, wenn sie das Bild einer lebendigen, vom Bürger erlebten und mitgestalteten Demokratie beschwören: Der soll wählen, und zwar mündig, also gefälligst die Richtigen.
*
Alles in allem eine Stunde Schnellkurs in politischer Überzeugungsarbeit:
Erste Lektion: Wo Beschwerden über die Regierenden laut werden, da sind keinesfalls die demokratischen Macher dem Bürger eine andere Politik schuldig; da versagt der ‚verdrossene‘ Bürger, der Name sagt es ja schon, der Demokratie den schuldigen Dienst – sein Engagement: Alles, was ihn an den herbeiregierten Verhältnissen stört, hat er als Auftrag an sich zu begreifen, sich für diese Politik ideell stark zu machen. Wenn also das Volk nicht voll hinter seinen demokratischen Führern steht – mit einer ernsthaften Kritik rechnet man gar nicht –, dann leidet es an einem defekten politischen Geisteszustand.
Zweite Lektion: Wo sich ein alternatives politisches Programm mit Kritik an der Regierung zu Wort meldet, da ist böser Wille und Verantwortungslosigkeit gegenüber Volk und Staat am Werk. Da erübrigt sich mithin jedes Argumentieren, da ist keine Denunziation und Hetze zu blöd. Da gehört sich, was man diesem politischen Gegner unentwegt vorwirft: Schlechtmachen um jeden Preis.
Dritte Lektion: Mit Kritik an den
sozialstaatlichen Einschnitten darf keine Politik gemacht
werden. Das Versprechen der ‚Linken‘, dass der Bürger
sich in diesem Land bei ihr aufgehoben fühlen darf, weil
sie sich um die sozialen Opfer des kapitalistischen
Wachstums kümmert, ist Demagogie
, auch wenn die
Partei damit nur das Erbe der SPD von vormals antritt.
Seit die sich zur Agenda 2010 entschlossen hat, liegt die
Latte für anerkannte soziale Belange des Volks höher und
hat der Begriff ‚Reform‘ seine Bedeutung entsprechend
gewandelt.
*
Der banale Grund für das Lamento über den generellen
politischen Geisteszustand des Volks wird nicht
verschwiegen: Zu viele schenken der Links-Partei
das dumme Wählervertrauen, das die etablierten Parteien
für sich beanspruchen. Die gescholtenen
Bürger machen, was unzufriedene Demokraten immer
machen – sie betätigen sich als ‚Protestwähler‘
und geben der Opposition, die besseres Regieren
verspricht, ihre Stimme. Und die Linkspartei
macht, was demokratische Oppositionsparteien immer machen
– sie macht die Regierung ordentlich schlecht,
präsentiert sich als Anwalt verratener Bürgerinteressen
und bessere Alternative; die Bürgerängste ernst
nehmen
nennt sie das ganz wie Merkel & Co. Sie
befleißigt sich also all der Touren, die im Geschäft der
demokratischen Parteienkonkurrenz und politischen
Willensbildung üblich sind; selbstverständlich, um
Wählerstimmen zu gewinnen.
Prompt werden die etablierten Parteien und die Öffentlichkeit prinzipiell: Da droht die Demokratie aus dem Ruder zu laufen. 10 % für die Linkspartei – das reicht zur Beschwörung einer Krise der Demokratie und provoziert all die Gehässigkeiten, zu der demokratische Machtanwärter und Machtinhaber samt ihren Parteigängern fähig sind. Weil sie Demokratie mit ihrem Monopol aufs Regieren identifizieren, agitieren sie nicht für ihre Politik, sondern mit ihrem Anrecht auf Zustimmung und bekommen von der Öffentlichkeit Recht. Sie sind es offenkundig ziemlich leid, für ihren Regierungsanspruch bei den Geschädigten auch noch werben und sich gegen unliebsame Parteikonkurrenz durchsetzen zu müssen. Das lassen sie den Wähler wissen.
Das ist die Überzeugungsarbeit, die demokratische
Politiker und eine kritische Öffentlichkeit dem Volk
schuldig zu sein meinen, damit es wieder Mut zur
Demokratie
fasst.
Wer ist hier eigentlich demokratieverdrossen!