Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Schadensersatz für Kleinanleger am neuen Markt:
Wird Aktiensparen immer sicherer?
Was sich einer Verurteilung wegen „sittenwidrigem Verhalten“ in der Sphäre des Geldkapitals entnehmen lässt: Auch in der Welt der Spekulation und Spekulanten muss dem Recht entsprochen werden. An dem Spekulativen der Spekulation mit und auf Aktien ist damit nichts verändert.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Schadensersatz für Kleinanleger am
neuen Markt:
Wird Aktiensparen immer
sicherer?
„Erstmals in Deutschland ist einem Kleinaktionär vor Gericht Schadensersatz für Verluste am Neuen Markt zugesprochen worden.“ (SZ, 25.9.01)
Das Landgericht Augsburg gibt der Klage eines
Kleinaktionärs gegen das Software-Unternehmen Infomatec
recht. Es habe durch wissentliche Fehlinformation in
einer ad-hoc-Meldung den Kläger zum Kauf von Aktien
veranlasst, deren Kurssturz ihm einen Vermögensverlust
von 100.000 DM eingetragen hat. Die Firma habe zum
Zeitpunkt der ad-hoc-Mitteilung, derzufolge ein
55-Millionenauftrag von Mobilcom akquiriert worden sei,
definitiv gewusst, dass dieser Auftrag nur hinsichtlich
10 Millionen bestätigt war. Das habe ein ehemaliger
leitender Mitarbeiter der Firma vor Gericht bezeugt. Das
genannte höhere Auftragsvolumen von 55 Millionen DM habe
eine Option eingeschlossen, die von Mobilcom erst noch zu
bestätigen war. Da Mobilcom diese Option nicht
wahrgenommen habe, musste Infomatec 6 Monate später die
ad-hoc-Meldung korrigieren und zugeben, dass nur 14.000
Surfstationen statt 100.000 verkauft worden waren, was
zum Konkurs des Unternehmens führte und damit zum totalen
Wertverlust der Aktien. Die Vorstände Harlos und Häfele
hätten also nicht nur Gewinnaussichten übertrieben und
wichtige Bestandteile des Auftrags – die Option –
verschwiegen, sondern bewusst unrichtige Angaben
gemacht, die für die Bewertung von Aktien erheblich
sind
(FAZ, 25.9.). Darin
liege ein grob leichtfertiges, gewissenloses
Verhalten, das den Vorwurf der Sittenwidrigkeit – gemäß
§826 BGB – rechtfertige
(SZ,
25.9.) und die Angeklagten zur vollen
Entschädigung des Verlusts von 100.000 DM verpflichte.
*
Das wollen sich die Angeklagten nicht ohne Widerspruch
sagen lassen. Auch wenn der Vorwurf der grob
leichtfertigen Gewissenlosigkeit gerade noch
auszuhalten wäre: deswegen dann auch noch 100.000 DM
löhnen zu müssen, erscheint ihnen grob ungerecht. Gegen
den Vorwurf der Sittenwidrigkeit halten sie das
ihrer Auffassung nach gefestigte Brauchtum der
Börsenwelt, wogegen sie sich keines Verstoßes bewusst
sein wollen. Sie behaupten einfach, „dass sich
ad-hoc-Meldungen nicht an einzelne Anleger, sondern an
ein bilanz- und marktkundiges Publikum richten
würden.“ Dieses geschätzte Publikum, so die
Angeklagten, habe keine Probleme, die
Informationspolitik der Infomatec richtig zu
verstehen und einzuordnen. Zur Bilanz- und Marktkunde,
wie sie Harlos und Häfele verstanden wissen wollen,
gehört eben auch, dass man mit interessiert gestreuten
(Halb-)Informationen richtig umzugehen weiß. Als Makler,
Fondsmanager, Investmentbanker oder sonstiger
institutioneller Anleger ist man nicht nur auf
eine Nachrichtenquelle angewiesen, sondern
ständig an den Strom der Marktdaten
angeschlossen oder produziert diese selbst mit, um darauf
seine spekulativen Entscheidungen zu gründen. Wenn ein
einzelner Anleger
, der, weil nicht bilanz- und
marktkundig
, nach dem Verständnis der Infomatec-Boys
sowieso nicht Teil des Publikums und deswegen
auch nicht Adressat der inkriminierten
ad-hoc-Meldung ist, da etwas in den falschen
Hals bekommt, ist das seine Sache: Was kümmern sich Leute
auch um Mitteilungen, die gar nicht für sie bestimmt
sind, die sie also nichts angehen und die sie deswegen
auch nicht verstehen!
*
Firmenbilanzen sind trickreich zusammengebastelte Zahlenwerke, in denen Gewinne und Verluste, Erfolge und Misserfolge so versteckt oder herausgestellt werden, dass nicht nur Steuereinnehmern, sondern auch Börsen und interessierten, investitionslustigen Finanzkapitalisten der gewünschte Eindruck vermittelt wird. Gewinnwarnungen oder lancierte Mitteilungen über neue Geschäftsaussichten werden als spekulative Einwirkung auf die Spekulation benützt, und ad-hoc-Meldungen sollen ebenfalls den jeweils aktuellen Geschäftsgang einer Firma dem Ver- oder Misstrauen der Märkte anempfehlen. Das gesamte Verlautbarungswesen von Börsen, Banken und Firmen bedient die Sphäre des Finanzkapitals, das den gesamten ökonomischen Rest der Welt auf die Erfüllung seiner Gewinnerwartungen verpflichtet. Bei der Sicherstellung dieser spekulativen, also stets zukünftigen Ansprüche glaubt es sich ganz entscheidend von furchtbar viel Informationen abhängig und trifft nach Lage der Marktdaten seine Entscheidungen über Ein- und Ausstieg, Anstieg oder Entwertung der Anspruchstitel, die seine diversen Indizes bilden. Mitten in diesem Sumpf ebenso unsachlicher wie unehrlicher, interessiert lancierter und rundherum spekulativer Informationen macht sich das Recht, in seiner bekannt abgebrühten Art, anheischig, klare Linien zwischen krimineller Manipulation und seriös erfüllter Publizitätspflicht zu ziehen, und erlässt zahllose Vorschriften zur Scheidung von Betrügerei und seriösem Spekulantentum.
Dazu zählt u.a. auch der §15 des
Wertpapierhandelsgesetzes zur Ad-hoc-Publizität
,
der vorschreibt, dass der Emittent von Wertpapieren,
die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen
sind,… unverzüglich eine neue Tatsache veröffentlichen
(muss), die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten und
nicht öffentlich bekannt ist, wenn sie wegen der
Auswirkungen auf die Vermögens- oder Finanzlage oder auf
den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten geeignet
ist, den Börsenpreis der zugelassenen Wertpapiere
erheblich zu beeinflussen.
Kursrelevante Tatsachen
dürfen also nicht verschwiegen werden, und einfach lügen
soll man auch nicht dürfen beim Veröffentlichen
,
sondern sich an die Tatsachen
halten. Dass das
Gericht die Mitteilung der Infomatec über den
Millionen-Deal mit Mobilcom für nicht ganz den
Tatsachen entsprechend hält, ist Pech. Und dass
das Gericht der Logik der Angeklagten, sie hätten mit
ihrer Mitteilung – jedenfalls nicht an unkundige
einzelne Anleger
– eigentlich rein gar nichts
mitteilen wollen, nicht folgt, sondern neben dem
fachkundigen Publikum,… alle tatsächlichen oder
potentiellen Anleger und Aktionäre
(SZ, 25.9.) zu den
Adressaten kursrelevanter Firmeninformationen zählt,
führt zum Erfolg der Schadensersatzklage, zumindest in
dieser Instanz.
Nur: So richtig beruhigend ist das Urteil für die Massen der Kleinanleger dann doch nicht, die es im Zuge der Riester-Rente mit ihren Spargeldern künftig an die Börse verschlägt. Die ist eben kein Platz für Sparer, denen der Verlust von 100.000 DM schon wehtut. Sie ist der Tummelplatz von Leuten, die über ausreichend Geld verfügen, um es dort zu vermehren und dabei auftretende Verluste hinzunehmen. Diese Sphäre des Geldkapitals kennt keine andere Betätigung als den Kauf und Verkauf von Beteiligungstiteln an künftigem Gewinn, die sich eben auch als verlustreich erweisen können. Den Erfolg oder Misserfolg von Geldkapital, der nur im Zuwachs oder Verlust an Kapitalgröße besteht, an der Leistung für den Lebensunterhalt seines Eigners zu messen, ist der Sache ganz inadäquat, auch wenn es für seinen Eigentümer viel besseren Unterhalt ausschwitzt als das Sparbuch für den Sparer. Ebenso unangemessen ist die Vorstellung, der Erfolg von Geldkapitalgeschäften hinge ab von der gerichtlich überwachten Ehrlichkeit von Informanten und Informationen, auch wenn jeder Börsianer einen betrügerischen Schädiger beizeiten verklagt. Wer aber die Erträge seiner Spekulation zum Leben braucht und auf Gerichtshilfe angewiesen ist, um eine Fehlspekulation auszubügeln und seine Altersversorgung zu retten, der hat in dieser Art Geschäft nichts zu lachen.